Für ein grüneres digitales Zeitalter (Resolution zur Netzpolitik)
1. Einleitung
Ein erheblicher Teil der Kommunikation und des gesellschaftlichen Stoffwechsels – von der Politik bis zur Wirtschaft – findet heute im digitalen Raum statt und hängt somit an umfangreichen IT-Systemen. Damit ist ein erhebliches Potential gegeben, unser Leben ökologischer, sozialer und demokratischer zu gestalten. Gleichzeitig bergen der digitale Raum und seine Möglichkeiten eine Reihe von Gefahren, die wir erkennen und denen wir mit politischen Vorschlägen entgegentreten.
Als GRÜNE wollen wir, dass unsere Werte – Umweltschutz, nachhaltiges Wirtschaften, gesellschaftliche Solidarität, Gleichstellung, Demokratie und Menschenrechte – auch im digitalen Raum zum Tragen kommen. Er soll daher entsprechend gestaltet werden. Diese Resolution soll uns GRÜNEN als Orientierungsrahmen und als Ausgangspunkt für weitere, tiefergehende Diskussionen dienen.
Das Internet funktioniert global und muss daher auch durch internationale Vereinbarungen gestaltet werden. Eine internationale Charta soll insbesondere die demokratischen Rechte, die Informationsfreiheit, die Menschenrechte und die Privatsphäre garantieren. Neben dieser internationalen Rechtsebene gibt es die nationale und kantonale Ebene. Hier stehen ebenfalls gesetzgeberische Entscheide an, bei denen wir uns als GRÜNE einbringen wollen. Dasselbe gilt für eine staatliche Digitalisierungsstrategie, die dringlich ist.
Der virtuelle Raum beruht auf einer physischen Infrastruktur. Diese ist sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten, um den Schutz der natürlichen Ökosysteme sicherzustellen.
2. Grundrechte
Schutz der Privatsphäre
Online-Aktivitäten erzeugen eine noch nie dagewesene Menge an Spuren, darunter auch sensible private Informationen. Die Mehrheit der Informationskanäle laufen heute über das Internet, das für einen Grossteil der Bevölkerung zu einem privilegierten Ort der Meinungsäusserung geworden ist.
Diese digitalen Spuren befinden sich heute unter der Kontrolle einer sehr kleinen Anzahl von Akteuren, die damit auf eine undurchsichtige Weise umgehen. Die heute praktizierte explizite Zustimmung zur Datensammlung ist unbefriedigend, da es für eine Einzelperson schwierig ist, auf Dienste zu verzichten, die einem Monopol unterliegen. Wir können uns nicht auf den guten Willen von Unternehmen oder auf die Eigenverantwortung von Internetnutzer*innen verlassen. Daher ist es unerlässlich, dass die Datenerfassung strengen Gesetzen unterliegt, die Einschränkungen auferlegen und mehr Transparenz verlangen.
Die Verwendung dieser Datenspuren birgt ernsthafte Risiken für die Demokratie. Die Analyse solcher Daten liefert exklusives und invasives Wissen über das Funktionieren der Gesellschaft, was jedem, der die technischen oder finanziellen Mittel dazu hat, die Tür zu Praktiken der Meinungsmanipulation öffnet. Der Einsatz von Firmen, die sich auf Social Engineering spezialisiert haben, muss nachvollziehbar sein und eingegrenzt werden.
Die Zentralisierung sozialer Kommunikation auf einige wenige Plattformen verleiht transnationalen Akteuren eine unverhältnismässige Macht, die eine Gefahr für die Souveränität von Staaten darstellt. Umgekehrt kann das in digitalen Spuren verkörperte Überwachungspotenzial von Behörden im In- und Ausland instrumentalisiert werden. Diese Praktiken verstossen gegen die Grundsätze der Demokratie, für die sich die GRÜNEN einsetzen.
Die GRÜNEN setzen sich für ein umfassendes Auskunftsrecht der Bevölkerung gegenüber dem Staat und gegen Staatstrojaner ein. Zudem ist uns eine starke, nicht-kompromittierte End-to-End-Verschlüsselung wichtig und wir sprechen uns gegen die gezielte Umgehung der Verschlüsselung in Plattformen aus (beispielsweise Backdoors, Masterschlüssel), da diese die Sicherheit schwächen und primär die gesetzestreuen Menschen treffen und benachteiligen.
Die Erbschaft von digitalen Gütern muss klar geregelt und der entsprechende Zugang von den Plattformen eingefordert werden.
Universeller Zugang zum Internet
Der ungehinderte Zugang zu Informationen ist unabdingbar für Freiheit, Gleichheit, weltweite Verständigung und Frieden. Das Internet spielt eine wichtige Rolle für die Demokratisierungsbewegungen weltweit.
Ähnlich einem Service Public soll das Internet ohne Schranken und Diskriminierung allen zugänglich sein. Die GRÜNEN heissen nicht gut, dass der freie Zugang immer mehr eingeschränkt wird, etwa durch Netzsperren, Ländercodierungen, Upload-Filter und Zensur.
Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit ist ein fundamentales Grundrecht in einer demokratischen Gesellschaft und schafft die Bedingungen für eine kritische Meinungsbildung. Als solches ist die Meinungsfreiheit auch ein integraler Bestandteil des Internets. Sie erlaubt den freien Informationsaustausch, den das Internet ausmacht und insbesondere für unterdrückte Menschen eine emanzipatorische Kraft darstellen kann. Gleichzeitig wird die Meinungsfreiheit zunehmend durch neue digitale Phänomene bedroht. Grundrechtsverletzende oder schädliche Aktivitäten wie Online-Hassrede oder Fake News nehmen zu und gewinnen online eine neue Dimension – oftmals auch unter dem Banner der Meinungsfreiheit.
Die GRÜNEN setzen sich konsequent für den Schutz und den Erhalt der Meinungsfreiheit im digitalen Raum ein – innerhalb und ausserhalb der Schweiz. Gleichzeitig soll die Meinungsfreiheit jedoch nicht als Entschuldigung für Diskriminierung, Rassismus und menschenverachtende Äusserungen im digitalen Raum gebraucht werden können.
Open Data und Open Access
Ein offener Zugang zu Daten aller öffentlichen Institutionen ist das Fundament für eine offene und demokratische Gesellschaft. Die GRÜNEN haben sich deshalb bereits 2012 als erste Partei für Open Government Data ausgesprochen.
Die Daten staatlicher Stellen unterliegen keinerlei Copyright-, Patent-, Marken- oder Geschäftsgeheimnisbestimmungen. Angemessene Einschränkungen bezüglich der Privatsphäre sind zulässig. Die Daten sind nach Möglichkeit sowohl in menschen- als auch in strukturierter, maschinenlesbarer Form zu veröffentlichen. Sie sind für alle zugänglich, ohne dass eine Registrierung erforderlich ist.
Das Netz soll die Transparenz politischer Prozesse verbessern. Rein technisch ermöglicht die Digitalisierung den Zugriff auf fast alle zur Meinungsbildung relevanten Informationen. Die GRÜNEN setzen sich deswegen für den freien Zugang zu Informationen und Unterlagen von staatlichen Stellen ein. Die digitale Transformation wird damit zur Chance für eine Emanzipation aller Schichten der Bevölkerung. Jede*r soll ihre*seine Rechte und Möglichkeiten wahrnehmen können. Das bedingt eine frühzeitige Teilhabe an den Entscheidungen. Nicht nur alle rechtskräftigen Unterlagen müssen im Internet bereitgestellt werden, sondern auch möglichst viele Unterlagen aus den parlamentarischen Kommissionen, sofern dies die Transparenz und die demokratische Legitimation stärkt.
Von der Öffentlichkeit bezahlte wissenschaftliche Publikationen und Gutachten werden oft unter Verschluss gehalten. Die GRÜNEN setzen sich für den freien Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen ein und unterstützen den Schweizer Nationalfonds bei der Umsetzung seiner Open-Access-Strategie
3. Umwelt
Die in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Infrastrukturen für die Informationstechnologie brauchen immer mehr Ressourcen, was unseren Planeten stark belastet. Massnahmen zur Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs sind dringend zu ergreifen; bei den Internetnutzenden, den Privathaushalten und den Unternehmen, insbesondere bei denjenigen welche Daten- und Rechenzentren betreiben.
Die Digitalisierung ist jedoch auch eine Chance, eine grüne und nachhaltige Transformation unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu realisieren. Der Einsatz von Informationstechnologie kann vielerorts zu ökologischen Einsparungen führen, wenn beispielsweise dank Videokonferenzen Reisen wegfallen oder der Energieverbrauch effizienter gestaltet werden kann. Die GRÜNEN wollen erreichen, dass sich die Schweiz auch international stark für eine nachhaltige Digitalisierung einsetzt.
nachhaltige Produktion
Digitale Geräte verbrauchen wertvolle endliche Ressourcen wie seltene Erden und verursachen eine steigende Menge an Elektroschrott. Der Abbau dieser Ressourcen verursacht enorme Umweltschäden und schwere Menschenrechtsverletzungen. Computer und Smartphones werden oft unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt. Die GRÜNEN treten deshalb für faire Arbeitsbedingungen in der gesamten Produktekette ein. Darüber hinaus sind Geräte ökologisch und nachhaltig zu produzieren und zu entsorgen, wofür Nutzende und Produzierende die gemeinsame Verantwortung tragen.
Ein wichtiger Punkt ist die Lebensdauer der Geräte, welche sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verkürzt hat. Deswegen sind Geräte so zu konstruieren, dass sie ohne grosse Umstände reparierbar sind – es braucht ein Recht auf Reparatur. Darüber hinaus muss der Hersteller online ein Handbuch beziehungsweise eine Dokumentation zur Verfügung stellen, das zum Verständnis der Funktionsweise des Geräts beiträgt, um es zu reparieren. Eine verlängerte Garantiedauer stellt sicher, dass Geräte eine Mindestlebensdauer haben, bis zu welcher auch Softwareaktualisierungen garantiert sind. Darüber hinaus sprechen sich die GRÜNEN dafür aus, dass Herstellende für nachweisliche geplante Obsoleszenz ihrer Produkte haften müssen.
nachhaltiger Gebrauch
Die verschiedenen digitalen Anwendungen sind nicht gleichwertig; einige wenige verbrauchen die überwiegende Mehrheit der verfügbaren Ressourcen zugunsten einer Minderheit. Videos verbrauchen fast 80% der Internet-Leistung. Die GRÜNEN sind an den digitalen Technologien als Werkzeug für eine nachhaltigere Zukunft interessiert, setzen sich aber gleichzeitig für eine durchdachte digitale Mässigung ein. Nur so können essenzielle Dienstleistungen erhalten und ein nicht nachhaltiges Wachstum der Geschwindigkeiten verhindert werden.
Das Design digitaler Werkzeuge soll diese Mässigung bereits berücksichtigen, indem es bewährte Verfahren der Green IT integriert, welche Ressourcenverschwendung und überladene Software («Bloatware») minimiert.
Gesundheit
Für die Gesundheit der Nutzenden sind elektromagnetische Felder relevant. Die Bevölkerung ist deshalb besser über die emissionsarme Nutzung der modernen Kommunikationstechnologie sowie über Alternativen zu informieren. Wir setzen uns gegen eine Erhöhung der Strahlen-Grenzwerte, für industrie-unabhängige Forschung und für die konsequente Umsetzung des Vorsorgeprinzips ein.
In Unternehmen braucht es den Aufbau von Unterstützungs- und Schulungsstrukturen bezüglich des Einsatzes digitaler Technologie. Sie kann nämlich Stress und Druck auf Mitarbeitende erzeugen, welche zu gesundheitlichen Problemen wie dem Burnout führen.
Auch Kinder und Jugendliche gilt es in der Nutzung zu begleiten und für Risiken wie Abhängigkeit, Missbrauch oder Mobbing zu sensibilisieren, um Depressionen und andere schwerwiegende gesundheitliche Probleme zu vermeiden.
4. Kultur
Das Internet verändert die Produktion, Verbreitung und Nutzung von Wissen, Kunst und Kultur. Für eingeräumte Nutzungsrechte haben die Urheber*innen immer einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Grosse Internetplattformen, welche urheberrechtlich geschützte Werke verbreiten, leisten einen angemessenen finanziellen Beitrag an die Kulturförderung.
Für die private Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke (zum Beispiel beim Upload in Tauschbörsen) sind alternative Vergütungsmodelle zu entwickeln. Auch soll eine nicht autorisierte Nutzung von geschütztem Material gestattet sein, sofern sie der öffentlichen Bildung und der Anregung geistiger Produktionen dient («Fair Use»).
Werke, deren Rechte-Inhaber*innen nach einer mit verhältnismässigem Aufwand durchgeführten Recherche unbekannt oder unauffindbar sind (“verwaiste Werke”), werden zur Weiternutzung freigegeben.
Journalistische Internetangebote, die von der Allgemeinheit gefördert werden, stellen ihr Angebot in angemessenem Rahmen kostenlos zur Verfügung. Von der öffentlichen Hand geförderte Werke werden der Öffentlichkeit über das Internet dauerhaft zugänglich gemacht.
5. Bildung
Das Ziel des Bildungssystems ist es, Menschen zu einer selbstbestimmten Lebensweise und zu einer demokratischen und wirtschaftlichen Teilhabe an der Gesellschaft zu befähigen. Im digitalen Zeitalter bedeutet dies, dass vermehrt Fähigkeiten im Umgang mit Daten und neuen Medien nötig sind (Daten- und Medienkompetenz). Einerseits sollen Schulen und die Lehrpläne digitale Geräte und Prozesse altersgerecht einsetzen; sie können das Lernen vereinfachen und lustvoll gestalten. Andererseits gilt es, Strategien zu vermitteln, dank derer Menschen bewusst über den sinnvollen Einsatz oder Verzicht auf digitale Medien entscheiden können. Gleichzeitig müssen besonders für Kinder vielfältige und analog-sinnliche Erfahrungen mit Menschen und der Natur unbedingt erhalten bleiben und ausgebaut werden.
Daten- und Medienkompetenz stellt sicher, dass Auszubildende die Prozesse kennen und verstehen, welche sie mit ihren Datenspuren in Computern und besonders im Netz in Gang setzen. Dies ist die Grundlage dafür, um die Nutzung von Daten kritisch zu hinterfragen, automatisierte Entscheidungssysteme zu erkennen und Konsequenzen – Nutzen und Risiken – des Handelns im Netz zu antizipieren. Dafür sind Grundkenntnisse in Informatik notwendig, genauso aber auch geistes- und sozialwissenschaftliche Fähigkeiten des Einordnens, Kontextualisierens und Hinterfragens sowie eine Sensibilisierung für ein angemessenes und respektvolles Verhalten bei der Benutzung digitaler Instrumente, insbesondere auf Social Media.
In der Bildung soll darauf geachtet werden, dass die Förderung in den einzelnen Bereichen unabhängig des Geschlechts stattfindet, sodass Daten- und Medienkompetenzen bei allen Geschlechtern genauso ausgeprägt sind.
Lehrpersonen sollen genügend Unterstützung erhalten, damit sie selbst über die nötigen Kompetenzen für das digitale Zeitalter verfügen. Daten- und Medienkompetenz sind deshalb wichtige Bestandteile der pädagogischen Ausbildung.
Generell sollen die öffentliche Hand und Arbeitgebende gemeinsam dafür sorgen, dass in Schulen und für alle Erwachsenen die nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen, damit sie sich im Bereich Daten- und Medienkompetenz permanent weiterbilden können.
6. Digitale Wirtschaft
Das Aufkommen digitaler Plattformen hat in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft neue Verhältnisse geschaffen. Im digitalen Raum sind Unternehmen bisher nie dagewesener marktbeherrschender Stellung entstanden. Sie agieren nach den Prinzipien des Überwachungskapitalismus, welcher durch die Maximierung von Datenextraktion bei den Benutzenden sowie einer Aufmerksamkeitsbindung Gewinne realisiert, zum Beispiel durch personalisierte Werbung. Geopfert wird dabei unter anderem die Privatsphäre.
Die GRÜNEN setzen sich deswegen für eine Erweiterung des Wettbewerbs- und Kartellrechts ein, um in Zukunft auch die neuartigen Plattformen regulieren zu können. Dazu gehört ein neues Steuermodell, welches den lokalen Umsatz global aktiver Unternehmen ohne Betriebsstätte in der Schweiz berücksichtigt. Auch muss bei Fusionen sichergestellt werden, dass sie nicht zu Monopolen führen. Bei bereits bestehenden Monopolen, welche auf Netzwerkeffekten und «Lock-ins» (Wechselbarrieren zwischen Anbietern) basieren, ist eine geeignete Regulierung zu entwickeln, beispielsweise durch Sicherstellung von Interoperabilität mit anderen Plattformen und das Recht auf Kopie.
Das Businessmodell der systematischen Aufmerksamkeitsmaximierung durch Social-Media-Plattformen führt auch dazu, dass vermehrt extreme, schockierende oder irreführende Inhalte angeboten werden. Die GRÜNEN setzen sich deshalb auch dafür ein, das einflussreichere Plattformen eine stärkere Sorgfaltspflicht im Internet wahrnehmen müssen.
Digitale Angebote mit Infrastrukturcharakter verstehen wir als Service Public. Sie sind deshalb als dezentrale technische Systeme (wie E-Mail) und partizipative genossenschaftliche Organisationsformen auszugestalten.
Durch den elektronischen Zahlungsverkehr gewinnen die Zentral- wie die Privatbanken sowie die Behörden an Macht gegenüber der Bevölkerung. Die GRÜNEN setzen sich für die Beibehaltung des Bargelds als Zahlungsmöglichkeit ein.
Neue technische Möglichkeiten, Dienstleistungen und Produkte anzubieten, haben die Arbeitswelt verändert. Der Schutz der Arbeitnehmenden ist auch im digitalen Raum zu gewährleisten. Dies ist auch bei der Definition neuer Formen der selbständigen Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen.
Kryptowährungen
Kryptowährungen – wie beispielsweise Bitcoin oder Diem (früher Libra) – stellen das staatliche Währungsmonopol in Frage, bringen erhebliche Geldwäschereirisiken sowie ökologische Gefahren durch hohen Ressourcenverbrauch mit sich. Gesetze und staatliches Handeln müssen diesen neuen Herausforderungen Rechnung tragen.
Politische Werbung
Politische Werbung online gewinnt an Bedeutung. Durch die starke Individualisierung der Werbung («targeted advertising») ist es heute nicht mehr möglich, einen Überblick über die Kampagnen politischer Akteure zu erhalten. Dies ermöglicht Schmutzkampagnen und widersprüchliche Wahlversprechen. Um einen konstruktiven politischen Diskurs zu gewährleisten, müssen politische Kampagnen transparent nachvollziehbar sein, beispielsweise durch ein öffentlich zugängliches Verzeichnis aller geschalteten Onlinewerbung.
Weltumspannende Soziale Medien haben einen grösseren Einfluss auf die Debatten und Politik als viele Nationalstaaten, mit denen die Schweiz diplomatische Kontakte pflegt. Die GRÜNEN setzen sich deshalb dafür ein, einen digitalen Botschafter einzurichten, welcher den Austausch mit den Plattformen pflegt.
7. Technische Infrastruktur der digitalen Gesellschaft
Weil immer mehr Programme und Geräte Daten über das Internet übertragen, kommt der technischen Infrastruktur des Netzes eine immer grössere Bedeutung zu. Zur Netz-Infrastruktur gehören sowohl physische Materialien wie Kabel als auch immaterielle Protokolle und Technologien, welche die Übertragung von Informationen bis hin zu einzelnen Programmen von Anwender*innen sichern.
Der Zugang zum Internet muss mit zeitgemässen Bandbreiten der gesamten Schweizer Bevölkerung via Kabel- oder Mobilfunkverbindung zur Verfügung stehen, wobei wir Kabel priorisieren. Die Zugänglichkeit muss unabhängig von kommerziellen Interessen, also geografisch nicht-diskriminierend gewährleistet sein.
Neben den technischen Voraussetzungen muss der Zugang auch diskriminierungs- und barrierefrei sein.
Software
Systemrelevante Anwendungen (zum Beispiel Direktnachrichten), welche mit geschlossenen Protokollen angeboten werden, sind solange zulässig, wie die Wahlfreiheit der Endnutzenden nicht erheblich eingeschränkt wird. Ist die Wahlfreiheit durch Monopole sehr limitiert oder sogar faktisch inexistent, müssen staatliche oder supranationale Institutionen offene Schnittstellen und damit Interoperabilität von solchen Anwendungen einfordern (beispielsweise Rich Communication Services (RCS)).
Ineffiziente Software ist ein wichtiger Treiber für die ständige Erneuerung der Hardware sowie für den Stromverbrauch. Softwareprodukte basieren teilweise auf ressourcenhungrigen Sprachen und Bibliotheken und/oder sie sind selbst ineffizient programmiert. Die GRÜNEN fordern darum der Nutzung und Erstellung ressourceneffizienter Software mehr Gewicht beizumessen. Weiter soll Software nach Möglichkeit so geschaffen werden, dass sie die Vielfalt der Benutzer und Benutzerinnen in Bezug auf Herkunft, Geschlecht und Kultur und mögliche Handicaps der Nutzenden berücksichtigt und dass sie auch auf älteren Geräten funktioniert. Insbesondere Wartungs- und Sicherheitsupdates sollen ältere Geräte nicht ausschliessen.
Netzneutralität
Die Netzinfrastruktur ist unabhängig von den Inhaltsanbietern zu gestalten und die Inhalte sollen allen gleichermassen zur Verfügung stehen. Dafür steht der Grundsatz der Netzneutralität. Er besagt, dass Daten im Internet gleichberechtigt übertragen werden – ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Zieles, ihres Inhalts, verwendeter Anwendungen oder eingesetzter Geräte.
Automatisierte Entscheidungsverfahren (Algorithmen)
Automatisierte Entscheidungsverfahren (Algorithmen) unterliegen der Rechenschaftspflicht genauso wie menschliche Entscheide. Sie sind gegenüber den Betroffenen transparent und nachvollziehbar zu machen. Jede*r soll das Recht haben, die verwendeten Daten einzusehen und bei wesentlichen Entscheidungen zu fordern, dass sie von Menschen getroffen werden. Algorithmen sind nach dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung zu gestalten.
Die GRÜNEN schlagen vor, eine Beobachtungsstelle für Algorithmen einzurichten, welche sie auf ihre gesetzliche und ethische Beschaffenheit prüft. Die Stelle kann Korrekturmassnahmen vorschlagen.
E-ID und E-Demokratie
Der authentifizierte Zugang zu Online-Angeboten, beispielsweise durch eine elektronische Identität, ist eine Dienstleistung der Netzinfrastruktur. Eine interoperable, zeitgemässe E-ID ist deshalb der gesamten Schweizer Bevölkerung kostenlos vom Staat zur Verfügung zu stellen. Dabei ist dem Datenschutz höchste Priorität einzuräumen.
Die GRÜNEN streben langfristig die Umsetzung von elektronischen Werkzeugen für die Wahrnehmung der politischen Rechte an. Dabei gilt: Sicherheit vor Geschwindigkeit. Die Glaubwürdigkeit der Demokratie im digitalen Raum ist nur durch die vollständig transparente Nachvollziehbarkeit unter der Wahrung des Stimmgeheimnisses gewährleistet.
E-Demokratie bedeutet aber mehr als die Digitalisierung der heutigen Prozesse. Vielmehr gilt es, die Partizipationsmöglichkeiten aller Betroffenen zu erweitern und zu vertiefen und den demokratischen Meinungsbildungsprozess zu fördern.
8. Internet-Governance
Internet-Governance soll weitgehend den direkt betroffenen Akteuren aus der Zivilgesellschaft, Kultur und Wirtschaft überlassen werden. Standardisierungsgremien sollen sich ähnlich wie das World-Wide-Web-Konsortium selber konstituieren.
Wo staatliche Institutionen massgeblich die Architektur des Internets – zum Beispiel durch öffentliche Beschaffung – beeinflussen, haben sie sich nach den Prinzipien von Open Standards (Interoperabilität), Open Data (Nutzung der Daten aus öffentlicher Hand), Open-Source-Software (Transparenz und Teilhabe) und, wo möglich, Open Hardware zu richten, um möglichst breite partizipative Wirkung zu entfalten.
Wenn Software Produkte mit staatlichen Geldern erworben oder entwickelt werden, dann soll dies der Allgemeinheit auch wieder zugutekommen. Staatliche Institutionen und staatsnahe Betriebe sollen wo immer sinnvoll Eigenentwicklungen unter einer wirtschaftsfreundlichen Open-Source-Lizenz zur Verfügung stellen und sich für Beiträge aus der Community öffnen.
AUTOR*INNEN
Ausarbeitung (2018-2019) und Leitung Vernehmlassung (2020), Arbeitsgruppe Netzpolitik:
Gerhard Andrey, Rahel Estermann, Liliane Galley, Balthasar Glättli, Markus Schmidt, Luzius Theiler
Inputs aus der Online-Vernehmlassung (2020) und der DV (2021):
Bettina Beer, Cyrill Bolliger, Florian Brunner, Lukas Bucher, Matthias Bürcher, Andrin Eichin, Sandro Fiorilli, Maurus Frey, Simon Gantenbein, Stéphane Lecorney, France Manghart, Laurin Murer, Nkiko Nsengimana, Luc Recordon, Ludovic Rochat, Ursula Schaffner, Martin Stohler, Léonard Studer, Jean-François Theubet, Oliver Thommen, Bruno Vanoni