Die Anfang Dezember beginnende Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation (WCIT) in Dubai wirft wesentliche Fragen auf. Die Rahmenbedingungen des Internets könnten sich tiefgreifend verändern. Vinton Cerf formulierte es drastisch: «Das offene Netz war nie in grösserer Gefahr als jetzt». Wer allerdings die Guten und wer die Bösen sind in dieser Auseinandersetzung – das ist ziemlich kompliziert. Und Cerf vertritt nicht nur die hohen Interessen der Internet-User, sondern auch die banal finanziellen seines Arbeitgebers Google. Beruhigend für einmal: schnelle Entscheide sind nicht zu erwarten.
Wenn sich Google mit einer eigenen Kampagne für Netzneutralität wehrt – wenn Internet-Bewegte sich gegen undurchsichtige Entscheidungsmechanismen in der ITU wehren – wenn europäische Staaten kritisieren, dass heute fürs Internet wesentliche Institutionen in Amerika angesiedelt sind und unter amerikanischem Recht operieren… dann hat das alles viel für sich. Aber auch viel dagegen.
Einen ersten Überblick gibt auf netzpolitik.org der Artikel „ITU: War das offene Internet noch nie so bedroht wie heute?“ Schnell wird klar: Die Auseinandersetzung spielt sich zwischen vielen verschiedenen Polen ab. Marktwirtschaftliches laisser-faire gegenüber staatlicher Regulierung (und Zensur), internationale Organisationen unter UNO Flagge gegenüber neutralen Organisationen, welche aber unter klarem US-Einfluss stehen… Und jeder dieser Pole hat klare Schattenseiten.
Eine rein marktwirtschaftliche Entwicklung des Internets würde die Netzneutralität rasch zu Fall bringen und zu einem Zweiklassen-Internet nach dem Motto „wer zahlt, kriegt Bandbreite“ führen. Ein starke staatliche Regulierung dagegen birgt die Gefahr, dass (nicht nur autoritäre) Staaten unter dem wohltönenden Vorwand, Kinder vor schädlichen Inhalten schützen und terroristische Machenschaften verhindern zu wollen, das Internet filtern und zensieren. Internationale Organisationen unter Uno-Flagge haben den Nachteil, dass ihre Mitglieder nur Staaten sind – die Community, die Zivilgesellschaft, kritische BürgerInnen haben also höchstens über den Umweg ihrer eigenen Staaten einen Einfluss. Die heute zentralen Organisationen ICANN, IETF und IANA dagegen sind nah mit der US-Regierung verbandelt… auch nicht unbedingt ein Garant für vollkommene Unabhängigkeit!
Einmal mehr wird die Sache wohl nicht so heiss gegessen, wie sie auf den Tisch zu kommen scheint. Denn die ITU trifft ihre Beschlüsse traditionellerweise einstimmig – und die USA hat bereits Widerspruch angemeldet. Für NetzpolitikerInnen allerdings bringt die Konferenz in Dubai die Möglichkeit und Herausforderung, eigene, zukunftsgerichtete Modelle zur Debatte zu stellen. Denn über die berechtigte Kritik am Einfluss von Big-Commerce oder zensurwilliger Staaten hinaus müsste ja ein brauchbares Modell der Entscheidungsfindung präsentiert werden. Kluger Rat ist hier teuer. Der auf netzpolitik.org verbreitete Ruf nach der „Zivilgesellschaft“ und „kompetenten Experten“ jedenfalls dürfte hier noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
 
KORREKTUR: In einer ersten Version des Artikels wurde fälschlicherweise von Doha, nicht von Dubai/Arabische Emirate als Ort der Konferenz geschrieben. Neu wurde auch der Hinweis auf die ablehnende Haltung der USA im letzten Abschnitt ergänzt.